Die Entscheidung, uns nach dem Vorbild der Bremer Stadtteilgewerkschaft ‚Solidarisch in Gröpelingen‘ zu organisieren, hat uns entscheidende Schritte weiter gebracht in unserem Anliegen, eine Basisorganisation von, mit und für Nachbar*innen aufzubauen. Wir wollen eine Stadtteilorganisation werden, die langfristig von den Mitgliedern – also den Nachbar:innen – getragen und weiterentwickelt wird, und die zum Ziel hat, für die Rechte und Interessen der Nachbar:innen gegenüber Behörden, Arbeitgebern und Vermietern zu kämpfen.
Das chaotische Weltgeschehen, sowie die aktuellen politischen Entwicklungen in der BRD bekräftigen uns dabei in unserem Anliegen:
Ja, die Wahlergebnisse aus den neuen Bundesländern machen Angst, aber sie kommen nicht aus dem Nichts. Sie sind das Ergebnis einer Politik, die einen großen Teil der Bevölkerung zunehmend verarmen lässt, währenddessen Unsummen Steuergelder im internationalen Wettrüsten verbrennt und nebenbei den Karren, also unseren Planeten, so richtig vor die Wand fährt, alles nur damit sich einige Wenige ihre prallgefüllten Taschen noch voller stopfen können. Egal ob schwarz, rot, gelb oder grün, egal ob Kenia oder Jamaika: Es sind die Parteien der sogenannten ‚Mitte‘, die seit Jahrzehnten mit diesem Kurs den gesellschaftlichen Frust säen, dessen Früchte die Rechte nun genüsslich erntet.
Wir sind überzeugt, dass eine echte gesellschaftliche Transformation nicht aus dem Parlament kommen wird, sondern nur durch eine Bewegung von unten ausgehen kann. Statt einem ‚weiter so‘ und gebetsmühlenartigen Appellen an ‚die Politik‘, brauchen wir echte Alternativen in Form gesellschaftlicher Gegenmacht. Statt weiter in Alarmismus zu verfallen und dabei immer wieder aufs Neue den Teufelskreis des ‚kleineren Übels‘ zu befeuern, brauchen wir einen langfristigen, tiefgreifenden und nachhaltigen Prozess echter Demokratisierung – damit meinen wir ein basisdemokratisches System, in dem die Menschen selbst über die Belange entscheiden, die sie betreffen.
Aber was heißt das jetzt konkret für uns?
Im März haben wir angefangen unser Beratungsangebot aufzubauen. Mehrmals im Monat beraten wir solidarisch und professionell bei Fragen zu Sozial- und Aufenthaltsrecht. Die Überforderung mit der deutschen Bürokratie ist ein echtes systemisches Problem, das viele Menschen in existentielle Ängste versetzt. Gemeinsam Anträge ausfüllen, Widersprüche einlegen oder zu Jobcenter-Terminen begleiten können erste Schritte einer solidarischen Kultur sein. Wenn sich die Behörden nicht an ihre eigenen Spielregeln halten, lassen wir nicht locker, machen Druck auf die Zuständigen, notfalls mit Mitteln wie Klagen oder Kundgebungen, bis die Beratungssuchenden das bekommen, was ihnen zusteht. Wichtig ist uns dabei, die Beratungssuchenden mit in den Prozess des Kämpfens einzubeziehen und nach Möglichkeit als Mitglieder für die Stadtteilgewerkschaft zu gewinnen, sodass sie sich auch bei uns einbringen, nachdem ihr individuelles Problem gelöst wurde. Je mehr Mitglieder wir werden, die auch bereit sind, sich für die Belange ihrer Nachbar*innen einzusetzen, desto stärker werden wir. Diese Kultur des ‚touch one, touch all‘ (wieder) zu beleben, betrachten wir als zentrales Anliegen unserer Arbeit.
Vor wenigen Wochen konnte unser Beratungskomitee den ersten größeren Erfolg feiern: Ein Nachbar wurde im Dezember 2023 vom Bürgergeld in die Grundsicherung geschoben. Aber das Sozialamt bearbeitete seinen Antrag schlichtweg nicht. Auch die darauffolgenden mehrfachen Kontaktierungsversuche und Amtsbesuche liefen ins Leere. Das Sozialamt schwieg. Dann haben wir ein Schreiben aufgesetzt, das wir dem zuständigen Sozialstadtrat, sowie dem Sozialamt direkt geschickt haben, mit der Androhung vorm Sozialgericht zu klagen und Öffentlichkeit für den Fall zu schaffen, wenn der Antrag nicht umgehend bearbeitet und bewilligt wird. Und siehe da, plötzlich ging alles ganz unkompliziert und schnell. Es war auch höchste Zeit – immerhin musste unser Nachbar ein dreiviertel Jahr ohne Einkommen, einzig von seinen Ersparnissen leben, die sich bereits dem Ende neigten. Mittlerweile kommt er regelmäßig zu unseren Kiezküchen und zieht in Erwägung, einem unserer Komitees beizutreten.